In der New York Times stand kürzlich ein hochinteressanter Artikel mit dem Titel „How Yoga can wreck your body“, übersetzt „Wie Yoga Ihren Körper ruinieren kann“, in dem die kontroverse Meinung vertreten wurde, dass die große Mehrheit der Praktizierenden Yoga aufgeben sollte, weil es ihnen mehr schadet als Nutzen zu bringen. Der langjährige Yogalehrer Glenn Black betonte im Interview, dass Yoga für Menschen in guter körperlicher Konstitution sei.
Dazu auch der vom Tagesspiegel interviewte Günter Niessen, Berliner Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie: „Hauptproblem ist seiner Erfahrung nach der allzu große Ehrgeiz, immer mehr und immer schwierigere Dehnungen hinzubekommen. „Das wird oft nicht mit Muskelkraft abgesichert“, moniert der Orthopäde.“
Hier gibt es eindeutige Parallelen zum Aikidō: Zu oft wird propagiert, dass man sich im Aikidō ohne (Muskel-) Kraft bewegt und alle Bewegungen „weich“ vollführt werden müssten. Das führt allerdings häufig dazu, dass Weichheit mit Passivität, Kraftlosigkeit und Schlaffheit verwechselt wird und gerade bei Anfängern zu Verletzungen beiträgt. Darum betont man in Japan am Anfang die Bedeutung des Körper-Aufbauens (karada-zukuri, auf Englisch body-building) im Aikidō. Bevor man richtig zur Sache gehen kann, ist es für Anfänger wichtig, sich einen für das Aikidō-Training geeigneten Körper anzueignen, sowohl was ihre Ausdauer angeht, als auch ihren Muskelapparat. Natürlich können auch schwache Menschen Aikidō lernen, das heißt aber nicht, dass sie schwach und kraftlos bleiben sollen. Ganz abgesehen davon, dass für jede Bewegung eine Vielzahl an Muskeln nötig ist und diese Muskeln auch unsere Gelenke vor Überbeanspruchung schützen, wird eine durchtrainierte Person sich entspannt sehr viel dynamischer und eleganter bewegen (können) als eine untrainierte. Das Bild, das mir dabei vorschwebt, ist das von BallettänzerInnen, die gleichzeitig muskulös und geschmeidig sind.
Die Gegenpole sind dabei nicht „weich“ und „hart“, sondern „schlaff“ und „steif“, wobei es Anfängern oft gelingt, in ihren Bewegungen zwischen diesen beiden Polen hin und her zu oszillieren. Was im Aikidō mit „weich“ gemeint ist, ist vielmehr die „Flexibilität“, „Geschmeidigkeit“ und „Elastizität“, wie sie Gummi zu eigen ist, denn auch Gummi kann gleichzeitig nachgiebig und trotzdem widerstandsfähig sein. Um eine überstrapazierte Metapher zu verwenden: Man soll wie der Bambus sein, der sich im Winde neigt und hernach wieder aufrichtet!
Dementsprechend soll man sich als Uke, wenn man seinem Trainingspartner Widerstand leistet, nicht steif wie ein Brett machen, sondern zäh und elastisch wie ein Gummiband, das, mal mehr, mal weniger nachgiebig auf die ausgeübte Kraft reagiert. Aus diesem Grund redet man im Japanischen auch oft davon, dass man sich gegenseitig knetet (neru) wie einen Brotteig oder walkt wie Leder. Nur so können zwei Trainingspartner sich gegenseitig dazu verhelfen, einen Aikidō-spezifischen Muskelapparat aufzubauen. Man wird sich gegenseitig zur Muskelmaschine im Body-Building-Studio!
In dem Zusammenhang ein Wort an die Praktizierenden, die sich bei ihren Übungspartnern beschweren, wenn ein Hebel wehtut: Natürlich gibt es (ja, auch beim Aikidō) rücksichtslose Charakterschweine, die ihre Partner bösartig mit einem seltsamen Glitzern in den Augen derart auf die Matte pfeffern, dass man meinen könnte, sie hätten Aktien einer Rollstuhlfirma gekauft. Gegen solche Leute hilft leider nichts anderes, als es ihnen mit gleicher Münze zurückzuzahlen. Und weil das natürlich zu einer unerwünschten Eskalation führt, wenn nicht zu offenem Streit, ist es besser, sich sofort zu trennen und einen anderen Partner zu suchen.
Aber ich bitte folgendes zu bedenken: Wenn es wehtut, ist in vielen Fällen der Uke selbst schuld! Er leistet zu viel Widerstand, macht sich zu steif, sperrt sich oder bleibt einfach passiv. Kein Wunder, dass es dann wehtut! Die einseitige Abschiebung der Schuld auf den Tori, der den Hebel angesetzt hat, stellt ein eklatantes Versagen der Eigenverantwortlichkeit und Selbstkritik dar, ohne die im Aikidō keine Fortschritte möglich sind.
Wenn ich als Uke von meinem Partner verlange, dass er mir auf keinen Fall Schmerzen zufügt, egal wie dumm ich mich anstelle, kann er nicht wirklich trainieren und mir bringt es auch nichts, es ist also alles vergebene Liebesmüh. Als Uke hat man selbst die Verantwortung dafür, sich selbst zu schützen. Ukemi, mit „Fallschule“ leider nur ungenügend übersetzt, bedeutet nicht, dass man passiv bleibt, sondern dass man sich aktiv darum kümmert, einer Technik zu begegnen ohne sich zu verletzen, während man dem Partner beim Üben hilft. Wenn ein Hebel also wehtut, muss man sich als Uke überlegen, wie man sich bewegen muss, um diesem Schmerz zu entgehen. Gerade deswegen ist der Uke auch nicht einfach passiver Statist, sondern aktiv übender Teilnehmer am Geschehen. Beide Partner trainieren, nicht einer, und dann der andere!
Oben genannte Zeitungsartikel:
New York Times: „How Yoga can wreck your body“
Der Tagesspiegel: „Yoga - Experten warnen vor den Folgen”
(Autor: Max Seinsch)
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