Zwei Bekannte haben, völlig unabhängig voneinander, nachgefragt, ob das Wappen der Homepage einen Ninja-Wurfstern darstelle. Die Spitzen hätten bei Ihnen einen gefährlichen und abweisenden Eindruck hinterlassen. Nach der ersten Anfrage habe ich mir noch nichts weiter gedacht, sondern nur fröhlich erklärt, dass das Zeichen dem Yin-Yang-Symbol verwandt sei und sehr schön die kreisförmigen Bewegungen im Aikidō darstelle.
Nach der zweiten Anfrage allerdings wurde ich stutzig. Nicht nur weil es mir schwerfiel, in die drei ineinander verquirlten Wassertropfen oder auch Kaulquappen einen Wurfstern hinein zu sehen. Das gelang mir erst, nachdem ich meine Augen auf die Zwischenräume fokussierte und dort etwas erkannte, was tatsächlich an eine dreiklingige Sense erinnern mochte. (In meiner Jugend gab es einen fürchterlich schlechten Fantasy-Film names „Krull“ oder so, wo ein solches Wurfmesser den Highlight darstellte. Mir fröstelt angesichts der Erinnerungen!) Zu denken gab mir aber auch der Hinweis, dass ich mit dem Symbol eventuell prospektive Mitglieder abschrecken könnte, die ob der implizierten Gewalttätigkeit ihr Heil in der Flucht suchen würden. (Ich über-„spitze“ natürlich.)
Ich nahm das zum Anlass, einen kleinen erklärenden Text zu schreiben, der sowohl die ursprüngliche Symbolik, als auch meine persönliche Interpretation des Zeichens erläuterte. Denn es steht mitnichten für Gewalt, sondern wird in Japan bis heute als Schutzsymbol gegen Blitze und Feuer in vielen Shintō-Schreinen benutzt. Im übertragenen Sinne könnte man das Wappen also auch als Schild gegen Gefahr und Gewalt interpretieren. Trotzdem muss ich hier noch ein paar Gedanken los werden, die über die Bedeutung und Interpretation des Symbols hinausgehen. Und das meine ich keinesfalls als Kritik an den Beiden, die mich freundlicherweise auf diese Problematik aufmerksam gemacht haben.
Erstens darf man nicht vergessen, dass Aikidō eine japanische Kampfkunst ist, die nicht nur ihren eigenen Habitus, d.h. ihre eigene Sprache, Kleidung und Bewegung mit sich bringt, sondern auch ihre ganz eigenes Verhalten und Denken, die sich in der japanischen Kultur und ihrer Symbolik ausdrücken. Wer sich nicht zumindest ein bisschen darauf einlässt, wird vielleicht etwas üben, wo Aikidō draufsteht, aber wo noch lange kein Aikidō drin ist.
Zweitens vergessen viele interessierte Menschen aufgrund von Aikidōs Ruf als „gewaltlose“ Kampfkunst, dass es dennoch genau das ist: eine Kampf-Kunst! Wir werden der Gewalt in der Welt oder auch nur in der eigenen Gesellschaft nicht Herr, indem wir vor ihr den Kopf in den Sand stecken. Nur indem wir lernen, erst mit den eigenen Aggressionen, der eigenen Gewalt umzugehen, versetzen wir uns in die Lage, uns gegenüber den Aggressionen und der Gewalt anderer Menschen zu behaupten. Und wie der Gesellschaftstanz es uns ermöglicht, in einem kontrollierten Umfeld zu lernen, mit den nicht-verbalen und doch nuancierten Verhandlungen der Geschlechterbeziehungen umzugehen, erlaubt uns das Aikidō-Training in sicherer Umgebung unsere Ängste zu konfrontieren.
Drittens glaube ich nicht, dass man es allen Leuten recht machen kann. Egal welches Zeichen, Symbol, Wappen oder Icon man benutzt, wird es immer Menschen geben, die sich davon nicht angesprochen oder sogar abgestoßen fühlen werden. Natürlich möchte auch ich als Aikidō-Lehrer möglichst viele Leute erreichen, um sie mit meiner Begeisterung anstecken zu können. Und natürlich könnte ich auf Kosten von Authentizität und Originalität versuchen, meine öffentliche Präsentation so rund und reibungslos zu gestalten, dass sich niemand daran stoßen würde. Aber wäre das noch interessant? Könnte daran noch jemand Geschmack finden? Das wäre mir zu fad. Darum werde ich auch in Zukunft hin und wieder ein paar Spitzen und Haken übrig lassen, damit überhaupt irgendjemand hängen bleibt!
(Meinen aufrichtigen Dank an die beiden Bekannten, die mir durch ihre Anregungen zu einem überaus produktiven Nachmittag verholfen haben!)
(Autor: Max Seinsch)
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