Punkte zur Beachtung bei Dan- und Kyū-Prüfungen

von Endō Seishirō Shihan

(Honbu Dōjō Shihan der Lehrabteilung, Honbu Dōjō Vorsitzender der Prüfungskomission)

Teil 2

(Zu Teil 1)

Zu Beginn:

In der letzten Ausgabe habe ich zu den Punkten, die man bei dan- und kyū-Prüfungen beachten sollte, und zur emotionalen Einstellung mehrere Beispiele gegeben. Nachdem wir den Prüflingen diese Punkte vor der Prüfung gründlich erklärten und ihnen zeigten, wie die Prüfung durchgeführt werden würde, erhielt ich den Eindruck, dass das gute Ergebnisse zeitigte.

Diesmal möchte ich anhand von drei Basistechniken sowie Entwaffnungstechniken (bukitori) und Abwehr von zwei oder mehr Angreifern (futarigake, taninzūgake) erklären, auf welche Punkte die Prüfer achten, wenn sie die Techniken der Prüflinge begutachten.

 

Shōmen-uchi irimi-nage:

Wird zum Partner die richtige Distanz eingenommen?

Das Timing und die Körperführung (sabaki), wenn der Prüfling passend zum Ausholen seines Partners nach vorne geht und seinen Körper einbringt (irimi).

Die Positionierung zum Partner nachdem der Prüfling irimi abgeschlossen hat.

Die Körperteile, die der Prüfling erfasst.

Das körperliche Gleichgewicht und das Timing zum Zeitpunkt, wenn die Balance des Partners gebrochen wird und der Prüfling zum Wurf übergeht.

Die Konzentration der Energie (ki) und der Kraft zum Zeitpunkt des Wurfs.

Zanshin: Kontrolle, ob der Prüfling sich in einem Zustand des jōkyo kajitsu befindet, nachdem der Wurf beendet ist (Oberkörper, Schultern, Ellbogen und Zwerchfell sind entspannt, die untere Körperhälfte befindet sich in einem kräftigen, gespannten Zustand).

 

Shōmen-uchi dai-ikkyō:

Wird zum Partner die richtige Distanz eingenommen?

Kontrolle von omote und ura.

Das Timing, mit dem der Prüfling passend zum Ausholen seines Partners nach vorne geht.

Kann der Prüfling den Ellbogen des Partners richtig ergreifen und zurückdrehen?

Hat der Prüfling korrekt Ellbogen und Handgelenk ergriffen, nachdem er den Arm des Partners heruntergebracht hat?

Die Positionierung, um zur nächsten Destabilisierung (kuzushi) des Partners übergehen zu können, und körperliches Gleichgewicht.

Zanshin: Köperliches Gleichgewicht und Energiefülle, nachdem der Prüfling den Partner zu Boden gebracht und arretiert hat.

 

Katatedori shihōnage:

Kontrolle der Distanz des Prüflings zu seinem Partner.

Das Timing, mit dem der Prüfling seinen Partner sein Handgelenk greifen lässt, und Kontrolle der Energiefülle im ergriffenen Arm und den Fingern.

Kontrolle von omote und ura.

Kontrolle zum Zeitpunkt der Körperwende (tenkan): Wird die ergriffene Hand bis auf Stirnhöhe angehoben? Ist der Ellbogen entspannt?

Kontrolle zum Zeitpunkt des Wurfs: Hat der Prüfling nicht zuviel Kraft in seine Hand gelegt? Haben sich seine Schultern nicht gehoben?

Zanshin: Körperliches Gleichgewicht und Energiefülle.

 

Die Qualität der Form(-en) hängt nicht nur von tori ab, sondern wird auch von den Reaktionen des uke beeinflusst.

Von Anfängern wünsche ich mir, dass sie sich bemühen, die aufgegebenen Formen groß und deutlich zu zeigen. Bei Fortgeschrittenen bzw. höheren Graden ist es selbstverständlich, dass sie die bezeichneten Techniken sofort und fehlerfrei ausführen können. Aber darüberhinaus wird von ihnen Genauigkeit in der Körperführung (taisabaki), Schnelligkeit und Schärfe, Geschmeidigkeit, Elastizität, Stabilität usw. verlangt.

Zur Bedeutung von maai und zanshin habe ich mich in der letzten Ausgabe ausgelassen. Weil das alltägliche Training innerhalb einer großen Menge von Menschen stattfindet, passiert es leicht, dass man aus einer zu engen Distanz heraus angreift bzw. eine Technik ansetzt. Darum muss man bei jeder einzelnen Technik ausdrücklich den richtigen Abstand einnehmen. Auch kommt es oft vor, dass, wenn man fließend trainiert, alles verschwimmt oder undeutlich wird, und dann bei der Prüfung auch nach einem Wurf oder einer Arretierung kein solides zanshin zeigt, sondern den Fehler macht, sofort zur nächsten Technik überzugehen. Darum muss man im alltäglichen Training darauf Wert legen, dass man nach einem Wurf nicht sofort den Blick vom Partner abreißen lässt, dass die Körperhaltung nicht an Form verliert, dass man bei einer Arretierung nicht den Kontakt verliert, solange man den Partner noch nicht vollständig kontrolliert hat, und dass es einem nicht passiert, dass die Hüften nicht stabil und im Gleichgewicht sind.

Die Prüfer ersehen an den Techniken der Prüflinge deren Einstellung gegenüber ihrem Training, ihre (Geistes-)Haltung, und wie sie ihr Training „angehäuft“ haben.

An den Aspekten, die ich hier als Gesichtspunkte angeführt habe, erscheint die Art und Weise des Trainings in seiner wahren Gestalt. Darum wünsche ich mir, dass man sich nicht über das wenn und aber bei Prüfungen Gedanken macht, sondern sich alltäglich vornimmt, so zu trainieren, dass man jede einzelne Technik wichtig nimmt.

 

Entwaffnungstechniken (bukitori):

Es sind Stimmen zu hören, die sagen: „Im vom Honbu Dōjō festgelegten Prüfungsprogramm gibt es ab der Prüfung zum 2. dan Abwehr von zwei oder mehr Angreifern und Entwaffnungstechniken, aber im Honbu Dōjō werden diese kaum gelehrt. Wir wissen nicht, was wir bei Prüfungen machen sollen.“

Der Gründer hat gesagt: „Die Bewegungen des Aikidō sind den Bewegungen des Schwerts und des Stocks gleich.“ Wir praktizieren normalerweise ein Training, bei dem Aikidō-Techniken ohne Waffen (taijutsu) im Mittelpunkt stehen. Darunter gibt es Bewegungen gegen shōmen-uchi, yokomen-uchi oder tsuki. Diese Bewegungen entfalten ihre Wirkung auch gegen Schwert- und Stockangriffe.

Je mehr Erfahrung man hat, desto größer ist die Notwendigkeit, sich auch innerhalb des Trainings ohne Waffen zu bemühen, Basisformen zu bestimmen, die auch gegen Waffen effektiv sind, diese zu funktionalisieren und sich einzuverleiben. Bei der Prüfung genügt es völlig, die grundschulmäßigste und sicherste Form auf ungefährliche Art und Weise zu demonstrieren. Wollte man darüber hinaus noch etwas sagen wollen, sollten fünf gut eintrainierte Formen vollkommen ausreichen.

Wenn ich „sichere Form auf ungefährliche Art und Weise“ schreibe, möchte ich damit sagen, dass man darauf aufpassen soll, nicht auf die (Schwert-)Schneide zu fassen oder die Schneide den eigenen Körper berühren zu lassen, wenn man dem Partner ausweicht und die Technik ansetzt. Wie schnell, scharf und geschmeidig man den Partner auch aus dem Gleichgewicht bringt, ihn wirft oder arretiert, eine Entwaffnungstechnik macht einfach keinen Sinn, wenn man, sollte es sich um echte Waffen handeln, sich dabei schwer verletzen würde. Ob ein Prüfling sich das im Kopf soweit ausmalt und dementsprechend trainiert oder nicht: Die Entschlossenheit, mit der man sich ans Training macht, und die Einstellung gegenüber dem, was man Kampfkunst (budō) nennt, lässt sich hier erkennen.

 

Abwehr von zwei und mehr Angreifern (futarigake, taninzūgake):

Was ich bisher in Prüfungen an futarigake und taninzūgake zu sehen bekommen habe, war unabhängig von Person und Ort eine Wiederholung von immergleichen Formen.

Es ist selbstverständlich, dass Training und Nachforschung damit anfangen, einige Musterformen treu nachzuahmen. Aber weil beim futarigake oder sanningake [Abwehr von drei Angreifern] die Zahl der Angreifer zunimmt, ist das der Grund dafür, warum man in dieser Situation (in Raum und Zeit der Realität), in die man hineingeraten ist (in die man gebracht wurde), mehr in die Enge getrieben wird, als wenn man eins zu eins arbeitet. Darum treten hier oft Situationen auf, in denen die Musterformen nicht adäquat sind, um gegen mehrere Angreifer zu bestehen.

In einer solchen Situation ist man emotionell und körperlich angespannt, kommt außer Atem, wird schnell erschöpft, und sowohl Körper als auch Form brechen zusammen. Hier werden wie natürlich die Qualität und die Quantität des Trainings dieser Person sichtbar.

Darum wünsche ich mir, dass man nicht bei einer Kopie von futarigake und taninzūgake, wie man sie bei einer Prüfung immer zu sehen bekommt, stehenbleibt, sondern, während man sich auch im Training eins zu eins eine verzweifelte Situation vorstellt, sich ein gewisses Spannungsgefühl bewahrt und sich daran macht, die korrekte Distanz (maai), die richtige Blicksetzung (metsuke) und die Benutzung des Körpers zu erforschen. Außerdem wünsche ich mir, dass man der Prüfung mit genug Trainingserfahrung entgegentritt, indem man sich direkt von seinem Lehrer Unterricht geben lässt oder aus Büchern wie dem „Aiki shinzui“ [„Die Essenz des Aiki“] heraus lernt, in welchem die Worte des Gründers zusammengefasst sind.

 

Zusammenfassung:

Ein Merkmal von Form(-en) ist, dass sie einen erzieherischen Grundgedanken haben. Selbst wenn man die Bedeutung einer Form (kata) nicht versteht, wird ihre stete Wiederholung verlangt. Es wird verlangt, dass man dem Körper die Form(-en) einprägt, bevor man ihre Bedeutung bis ins letzte begreift.

Wenn man selbst das Formentraining analytisch, absichtsvoll, unmittelbar und überdies intuitiv verfolgt, entsteht innerhalb eines lange fortgesetzten Trainings eine qualitative Veränderung, durch die man freie Bewegungen erwerben kann, die auf den Basisformen beruhen.

 

Fotos:

Zarei
Zarei

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Prüfung beginnt mit der Verbeugung im Sitzen (zarei).

Kamae und Maai
Kamae und Maai

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bei einer Prüfung geht es nicht nur um Technik, sondern auch um Stellung (kamae) und Distanz (maai).

Anfänger
Anfänger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Anfänger sollen ihre Techniken groß und deutlich demonstrieren.

Konzentration
Konzentration

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Bis zuletzt lässt man sein Gefühl nicht abreißen und verliert nicht an Energie und Konzentration.

Zuschauer
Zuschauer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Dōjōmitglieder, die die Prüfung beobachten.

Aus: Zaidan Hōjin Aikikai Aikidō Tankyū Henshū Iinkai (Hrsg.): Aikidō Tankyū, Nr.23 (Januar 2002), S.46-47.

Übersetzt von Max Seinsch.

Mit freundlicher Genehmigung der Aikidō Tankyū Redaktion.